Eine Ramadan Geschichte
Der Fernsehmoderator Bekir Develi erzählt: “Gestern sind wir mit meinem Freund Sadettin Acar und weiteren Freunden zum Essen ausgegangen. Während wir assen, haben wir uns Geschichten aus früheren Zeiten erzählt. Dabei hat uns Sadettin Acar folgende Geschichte erzählt: »Ich stamme aus einer 11-köpfigen Familie aus Mardin-Kızıltepe. Uns ging es damals finanziell sehr schlecht. Ich war Schüler auf einer Madrasa. Als wir während einer Nacht im Ramadan vom Tarawih-Gebet aus der Moschee kamen, sah ich einen alten Mann, der hin und her ging und sich nach rechts und links umsah, als würde er etwas suchen. Ich griff nach seinem Arm und sagte: “Onkel, Ihr scheint nach etwas zu suchen. Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein”. Daraufhin sagte der Mann: “Ich, muss dringend telefonieren”. So brachte ich ihn zu einer Telefonzelle und er besorgte sich eine Handvoll Telefonmünzen und sagte: “Ich werde diese hier benötigen”. Ich weiss natürlich nicht, mit wem er telefonierte, hörte aber lediglich folgendes: “Meine Tochter, unser Flug wurde gestrichen. Wartet daher heute nicht auf mich. Man hat uns ein Hotel organisiert und ich werde morgen mit dem ersten Flug zurückkommen”. Anschliessend hat er mich auf ein Tee eingeladen und dabei meine Kleidung und Schuhe gemustert. Wir lebten damals wirklich unter sehr ärmlichen Umständen. Dann hat vor dem Abschied in seine Hosentasche gegriffen und versuchte, mir Geld zu geben. Während ich zum Beispiel monatlich 10 Lira zur Verfügung hatte, gab er mir 40 Lira. Auch wenn ich versuchte, das Geld abzulehnen, hielt er mir ganz fest meine Hände und sagte: “Mein Sohn, Allah hat mir genug zum Leben gegeben. Ich verfüge über genug Vermögen. Ich bin ein wohlhabender Mann aus Deutschland. Nimm bitte dieses Geld!” Dann hat er mir noch seine Adresse in Deutschland auf ein Zettel geschrieben, mit Begriffen, die ich nicht kannte, und dann habe ich ihn nie wieder gesehen.
Ich habe später die Madrasa beendet und habe die Aufnahmeprüfungen zur Universität in Istanbul gewonnen. Mein Weg zur Uni betrug eine Stunde und das Busticket betrug eine Lira. Um dieses Geld zu sparen, ging ich täglich eine Stunde, statt mit dem Bus zu fahren. Ich hatte damals auch zusätzlich einen Job, aber mein Geld reichte nicht, um mein Studium zu beenden. In meiner Verzweiflung fand ich plötzlich den Zettel mit der Adresse des Mannes wieder. Ich schrieb den Mann an und schilderte ihm meine Not. Daraufhin schickte er mir eine Summe, mit der ich mein komplettes Studium finanzieren konnte. Als ich mein Diplom erhielt, habe ich ihm zum Dank eine Kopie davon zugesendet und ihm geschrieben, dass ich als dies ihm zu verdanken habe. Später bin ich Kolumnist einer Zeitung geworden und habe ihm immer meine Artikel zugesendet. Aber irgendwann ist leider der Kontakt zu ihm abgebrochen, sodass ich keine Antwort mehr von ihm erhielt. Mein verstobener Vater hatte uns Kindern gesagt: “Betet viel für diesen Mann!”, sodass dieser Mann in all meinen Gebeten ist. Möge mein Schöpfer ihm Anteil haben lassen an all meinen guten Taten«.
Bekir Develi sagt: “Ich habe Sadettin gesagt, dass ich diesen Mann aus Deutschland finden kann, wenn er mir seinen Namen und die Stadt nennt, aus der er stammt. Sadettin holte den Zettel heraus und ich erfuhr, dass dieser Mann in Braunschweig lebte. Vor drei Tagen hatte ich dort ein Ramadan-Programm, sodass ich den dortigen Moscheevorstand der islamischen Glaubensgemeinschaft Milli Görüş anrief und fragte, ob sie mir die Adresse eines Ahmet Balcı herausfinden können. Sie sagten: “Wir kennen Ahmet Balcı sehr gut. Er ist allerdings vor drei Jahren verstorben”. Daraufhin habe ich nach seiner Familie gefragt. Sie sagten, dass er eine Tochter habe.
Als ich wieder in der Türkei war, rief ich gemeinsam mit Sadettin dort an. Ihr Mann ging ans Telefon und ich sagte ihm: “Ich rufe Sie aus der Türkei an, um Ihnen eine Geschichte zu erzählen. Können Sie bitte das Telefon laut stellen, damit Ihre Frau mithören kann?” und ich gab den Hörer weiter an Sadettin. Sadettin erzählte weinend von ihrem Vater und wie sehr er ihm geholfen hatte. Auch seine Tochter fing an zu weinen und auch ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Und dann sagte die Tochter: “Wissen Sie, warum ich weine? Mein Vater war ein armer Mensch. Wir lebten in einem sehr heruntergekommenen Haus. Ich weiss nicht, wie er Ihnen all dieses Geld schicken konnte, aber mein Vater war armer Mann”.
Bekir Develi erzählt weiter: “Die Interpretation des Koranverses
لَقَدْ خَلَقْنَا ٱلإِنسَانَ فِيۤ أَحْسَنِ تَقْوِيمٍ
(“Wir haben den Menschen in schönster Gestalt erschaffen”) muss wohl so jemand wie Ahmet Balcı sein…”
Die Illustration stammt von Maryam Siedelahl.